Statue der Gottesmutter
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Abend der Barmherzigkeit mit Einzug der Reliquien unserer Ordenspatrone (04.12.2015)

Ein besonderes Geschenk, das wir in unserem Jubiläumsjahr (150 Jahre Vorauer Marienschwestern) erhalten haben, durften wir am heutigen Tag in unsere Kapelle tragen.

Es sind die Reliquien unserer Ordenspatrone, gefasst in drei Reliquiaren: Franz von Assisi, Barbara, Antonius von Padua, Therese von Lisieux und Teresa von Avila. Gemeinsam mit dem heiligen Franziskus wurde auch eine Reliquie der heiligen Klara übertragen.

Prof. Dr. Hansjörg Rigger, der dem Gottesdienst als Hauptzelebrant vorstand, sagte in den einleitenden Worten: „Der Himmel ist immer großzügig. Aber an manchen Tagen hat man den Eindruck, ist er noch großzügiger. Und ein solcher Tag ist heute. Wir feiern Herz-Jesu-Freitag und wir feiern das Fest der heiligen Barbara, einer Märtyrerin, Namenspatronin von Barbara Sicharter, der Gründerin der Schwestern hier in diesem Haus.“

 

 

„Natürlich wurde Mutter Barbara, als sie zur Welt gekommen ist – wie es damals üblich war – am selben Tag auf die Namenspatronin des Tages getauft. … Lassen wir Dankbarkeit in uns aufkommen. Dankbarkeit, dass der Herr uns entgegenkommt. Er kommt uns entgegen, jetzt in der Eucharistiefeier, er wird sich von uns berühren lassen, wenn wir dann anschließend betend, ihm unseren Lobpreis, unseren Dank und unsere Bitte vortragen.

Ich bin heute fast zwölf Stunden im Zug gewesen, um hier her zu kommen. Da gewinnt man irgendwie den Eindruck: Es ist jetzt schon ein bisschen das Ende der Welt. Aber wir sehen, die Welt ist nicht klein genug, ich komme auch aus einer kleinen Welt. Aber wir sind nicht klein genug, als dass Gott uns nicht rufen könnte und Großes machen kann. Vielleicht bedrückt uns Angst, wenn wir in diese Welt hineinschauen, die Nachrichten hören, wenn wir hören, dass Christen verfolgt und getötet werden, mehr als zu allen Zeiten, seit es das Christentum gibt. Mag uns das bedrücken, mögen es Krankheiten in unserer Familie sein, Kinder auf Abwegen – weit ab von den Wegen, die Gott für uns vorgezeichnet hätte. Und doch haben wir Grund zur Freude. Wir haben Grund zur Freude, denn Gott hat uns nicht nur seinen Sohn geschenkt, er hat uns auch eine Mutter geschenkt. Unbefleckt! Diese Welt ist voller Befleckung. Wir müssten verzweifeln, könnten wir nicht auf das Unbefleckte schauen, auf das Unbefleckte Herz Mariens, auf ihre Unbefleckte Empfängnis. Denn nur so wissen wir, was Gott mit uns vorhat.“

In wenigen Tagen, am Hochfest der Unbefleckten Empfängnis, wird Papst Franziskus das Jahr der göttlichen Barmherzigkeit in Rom eröffnen. Das ist eine unfassbar große Gnade für die ganze, kriesengeschüttelte Welt. Mit dem Öffnen der Tore, wird der Heilige Vater die Schleusen der Barmherzigkeit öffnen. Deshalb laden wir Sie für das kommende Jahr ganz besonders herzlich dazu ein, an den Abenden der Barmherzigkeit teilzunehmen, denn Jesu Herz wird in diesem Jahr der Gnade ganz weit offen stehen. Der nächste Abend der Barmherzigkeit – und damit das gesamte Triduum – wird wegen des Feiertags (01.01.2016) um eine Woche verschoben und findet deshalb erst am 08. Jänner 2016 statt. Kommen Sie zahlreich, der Herr wartet auf Sie!

Predigt vom Abend der Barmherzigkeit

Prof. Dr. Hansjörg Rigger

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wenn ich natürlich aus Südtirol kommend, zweisprachig aufgewachsen, einen Evangeliumstext auf Deutsch lese, so kann es sein, dass ich am Abend dann eine heilige Messe in italienischer Sprache feiere und da wundere ich mich dann oft, wie unterschiedlich Übersetzungen sind.

Im Deutschen geht Jesus vorüber, im Italienischen geht Jesus weg. Das führt dann immer wieder dazu, dass ich zum Griechischen Neuen Testament greife, um nachzusehen, was steht denn da wirklich? Und es steht wirklich da: „Er geht weg.“ Wir haben im Deutschen einen traurigen Rekord, wir haben eine der schlechtesten Übersetzungen in der Einheitsübersetzung. Aber damit müssen wir leben.

Jesus geht weg. Er dreht sich um und geht weg. Und die Kirchenväter haben das als einen symbolischen Gestus betrachtet und meinten dazu, Jesus geht weg von all unseren Plänen, von all unseren Programmen, er geht weg von unseren Ideologien, von all dem, was wir machen wollen, von dem wir überzeugt sind, dass es das Richtige ist. Er geht weg von den ausgetretenen Trampelpfaden auf denen wir noch unterwegs sind. Er geht weg von Gewohnheiten, von Dingen, die wir nicht mehr hinterfragen, die an Tiefe verloren haben, die nur mehr seicht sind.

Aber, die Kirchenväter wären nicht Kirchenväter, würden sie darin nicht einen tieferen Sinn erblicken. Sie sagen, Jesus tut das zu unseren Gunsten. Er geht weg, damit wir erst sehnsüchtig werden können nach ihm.

Wie weit, liebe Brüder und Schwestern, muss er weg gehen, damit Sehnsucht in uns geboren wird? Sehnsucht nach ihm, nach seiner Nähe. Sind wir ganz ehrlich: Hat mich Sehnsucht hier her getrieben, oder ist es halt eben die Pflicht, am ersten Freitag im Monat, die Gewohnheit? Ist es wirklich die Sehnsucht nach dem Herrn, die Sehnsucht nach dem, der alles in allem ist, der sich hier am Altar wiederum verschenkt, der uns teilhaben lässt am Ostermysterium?

Jesus geht weg und offensichtlich sind die beiden Blinden von einer Sehnsucht gepackt, einer Sehnsucht, die sich mit einer vertrauensvollen Erwartung verknüpft, wieder sehen können. Und wir Prediger neigen dazu, diese Blinden doch auch im übertragenen Sinne zu sehen, vielleicht uns selbst in diesen Blinden zu sehen.

Und es ist interessant, dass große Heilige, wie die heilige Teresa von Avila, dieses Wortpaar „taub, blind“ ganz oft verwendet und darüber nachgedacht haben. Es findet sich dieses Begriffspaar beispielsweise auch in einem wunderbar schönen Gebet von Bonaventura. Es findet sich bei Franziskus.

Es findet sich bei einem Gründer, den sie wahrscheinlich nicht kennen, aber hier in Pitten, nicht unweit von hier, in Niederösterreich, da sind Schwestern, die von ihm gegründet wurden: Pater Jordan. Er wird vermutlich das nächste Jahr seliggesprochen. Auch er denkt viel in seinem geistigen Tagebuch über dieses Begriffspaar nach – „taub und blind.“

Und diese Heiligen, die machen das nicht so moralisierend: Ja wir sind irgendwie wie von Blindheit geschlagen…! Nein, diese Heiligen versuchen sich hineinzuversetzen in einen Blinden.

Ich habe es selber erlebt, ich bin einmal im Monat im Blindenzentrum in Bozen und habe dort einen Einkehrtag.
Ich habe viel mit blinden Menschen zu tun und ich kann mich erinnern, vor ein paar Jahren – die Frau ist leider schon verstorben – aber da kam diese Blinde auf mich zu und sagte: „Ich möchte sie kennen lernen, darf ich sie anfassen?“

Einen Priester, da muss man schon zweimal fragen, „darf ich sie anfassen“, aber die Blinden haben da keine Probleme. Da sind die Sehenden manchmal mit größeren Problemen behaftet. Und sie fing an bei den Schultern und sagte: „Sie sind viel größer, als ich sie mir vorgestellt habe!“ Da habe ich scherzhaft  gesagt: „Aber jetzt sagen sie nicht, dass ich auch dicker bin, als sie sich das vorgestellt haben.“ „Ich habe sie mir anders vorgestellt!“, das ist das Typische für den Blinden und da plötzlich sagen wir: „Ja, wir sind tatsächlich alle blind, obwohl wir sehen.“

Wir stellen uns ständig den anderen vor. Was denkt der? Der wird sicher das denken…
Wir stellen uns vor, dass er so ist. Aber so ist er gar nicht! Aber wir stellen uns das so vor.
Wir haben ihn längst in eine Schublade gegeben, aus der er nicht mehr heraus kommt. Wir stellen uns vor, wie er ist. Wir haben ihn nicht gefragt, wir haben nie nach einer Rückmeldung gebeten, nein, aber wir haben bereits unser Urteil gesprochen. Da trifft man auf einen Menschen, der macht eine Bewegung, die man von irgendwo her kennt, die für einen das Maximum für unsympathisch ist – und schon ist der andere unsympathisch.
Wir machen uns eine Vorstellung von ihm.

Und oft, in der Begegnung, fällt es uns „wie Schuppen von den Augen“. Der ist gar nicht so!
Der ist ja ein recht komoter Mensch. Mit dem kann man gut reden, er ist hilfsbereit.
Unsere Lieblosigkeit macht uns zu Blinden. Wir sehen den Mitbruder, die Mitschwester nicht mehr, aber wir machen uns wie Blinde eine Vorstellung von ihnen.

Und da passiert etwas, das ist ja ein Glückstreffer für uns an einem Barmherzigkeitsabend, diese Blinden, sie rufen dem Herrn nach: „Hab Erbarmen mit uns.“ Wir müssen uns jetzt ertappt vorkommen.
Wir würden sagen: „Hab Erbarmen mit mir, mit meinem Leid, das das Größte ist, mit meinem Kreuz. Hab Erbarmen mit mir, hab Erbarmen mit uns.“ Da haben sich zwei Menschen in einer gemeinsamen Sehnsucht gefunden.

Liebe Brüder und Schwestern, die sie hierher zu den Schwestern kommen, und das genießen, hier Gast sein zu dürfen. Denken sie sich das immer von den Schwestern: Eine Sehnsucht hat sie zusammen geführt.
Aus dem „ich“ wird ein „uns“, es ist, als hörten wir hier das „Vater-unser“ heraus.
Vater-unser, unser aller Vater. Es verbindet uns etwas, die Not, die menschliche Not, sie verbindet uns.

Liebe Brüder und Schwestern und Jesus frägt nochmals nach: Ja traut ihr mir das zu?
Und sie sagen: „Ja!“ Und er fügt hinzu: „Ja, euer Glaube, euer Glaube wird zum Maßstab!“
Es kann nur so viel an dir, mit dir passieren, wieviel du glaubst. Gott antwortet auf deinen Glauben. Er kann nicht anders, weil er dich respektiert. Er tut dir keine Gewalt an. Wir werden es anschließend im gemeinsamen Lobpreis hören, wenn ich auch auf diese Heiligen hier eingehen werde.

Aber wenn wir eine von ihnen (von den Ordenspatronen) hernehmen, die für die Schwestern wichtig ist:

Teresa von Avila. Das ist die typische Heilige, die sagt: „Wir können nie genug vertrauen, wir können nie genug erbitten.“ Sie ist diejenige, die sagt: Warum denn den Strohhalm erbitten, warum nur ein bisschen, warum nur ein Scheibchen? Wir dürfen vor Gott hintreten und alles von ihm erbitten. Schließlich werden wir einmal bitten: „Schenke uns nicht ein bisschen Leben, sondern schenke uns ewiges Leben!“ Das ist unser Maßstab. „Ja“, sagen sie, „ja, wir trauen es dir zu.“ Aber, liebe Brüder und Schwestern, das ist ein allererster Anfang. Und man sieht es auch bei diesen beiden Blinden. Es wird nicht erzählt, wie es ihnen danach ergangen ist.

Manche Blinde haben mir gesagt, ich möchte gar nicht mehr sehen. Was ich von der Welt höre, dass genügt mir.
Aber Jesus sagt zu den beiden Blinden etwas: „Es soll niemand davon erfahren.“ Und da hat man sich Gedanken gemacht, was das bedeuten kann. Exegeten haben sich darüber Gedanken gemacht und ich kann euch etwas versichern: Eines haben wir als Exegeten nicht gelernt, nämlich gehorsam zu sein. Und wir sehen, Jesus hat an diesen Blinden etwas gemacht. Er hat ihren Glauben gelobt.

Hier beginnt ein ganz neuer Abschnitt ihres Lebens, aber Jesus möchte sagen: „Das, was jetzt folgt, ist noch viel schwerer. Wenn ihr jetzt wirklich auf einem Weg gehen wollt, auf meinem Weg, weil ihr sehend geworden seid, weil euch die Liebe die Augen geöffnet hat, dann müsst ihr eintreten in einen Gehorsam. Dann müsst ihr euch schon ab und zu nach dem Willen Gottes fragen.“ Und sie gehen los und erzählen es der ganzen Welt. Sie sind nicht gehorsam.

Liebe Schwestern, ich spreche jetzt einmal von ihnen, vielleicht von den Kandidatinnen, von jenen, die jetzt aufgenommen werden. Das, was folgt, ist ein Weg strengen Gehorsams und dabei macht der Gehorsam der Oberin gegenüber nur einen kleinen Teil aus. Er fällt kaum ins Gewicht, wenn es bei dem anderen großen Gehorsam stimmt. Gehorsam dem gegenüber, der uns ruft.

Liebe Brüder und Schwestern, wo steht in dieser Geschichte Mutter Barbara?

Ich habe mich gefragt: „Wo steht sie?“ Ich würde sie nicht bei den Blinden ansiedeln. Sie hat die Not gesehen.
Sie war gehorsam. Aber aus diesem Gehorsam heraus wurde sie Mittlerin von Heilung. Einige von ihnen, nehme ich mal an, würden wir damals, zu Zeiten Mutter Barbaras leben, wären heute nicht hier. Sie gehörten zu den Siechen. Da schauen sie mich an. Ein kleiner Oberschenkelhalsbruch…. diese Menschen waren von da ab bettlägerig und das Bett, auf dem sie lagen, hier in der Steiermark – genauso wie in Südtirol –  war ein Strohsack! Nicht etwa ein Wasserbett oder eine spezielle Matratze, wo man nicht aufliegt und wundliegt. Und diese Menschen, sie lagen wund. Und die meisten sind an Infektionen, an Wundstarrkrampf, an Sepsis gestorben. Ich frage sie jetzt nicht, wer hat schon ein künstliches Hüftgelenk.

Mutter Barbara hat die Not gesehen. Und durch ihren Gehorsam konnte Gott hier wirken und wir spüren es heute noch. Mutter Barbara hat etwas entdeckt und nur in diesem Gehorsam nähert sie sich einem ganz großen Vorbild: Das ist sie, die Unbefleckte des Heiligen Geistes, die ohne Makel der Erbschuld Empfangene, die Reine, die Schöne.