Statue der Gottesmutter
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Kreuzverhüllung (06.04.2014)

Der fünfte Sonntag der Fastenzeit ist der weniger bekannte erste Passionssonntag, an dem nach altem Brauch sämtliche Kreuze verhüllt werden. Diese Tradition geht auf das Mittelalter zurück. Die Farbe der Verhüllungstücher ist violett, entsprechend der liturgischen Farbe für die Fastenzeit. Aber warum verbirgt die Kirche das Kreuz ausgerechnet zu jener Zeit, in der die Passion des Herrn, die ihren Höhepunkt in der Kreuzigung findet?

Die Antwort ist eigentlich recht einfach: Weil das Kreuz schon in der frühen Kirche als Symbol der Auferstehung verstanden wurde. „Im Kreuz ist Heil, im Kreuz ist Hoffnung, im Kreuz ist Leben!“, singen wir gerne beim Beten des Kreuzweges. Der Schandpfahl wurde durch Christus zum Siegeszeichen. Aus diesem Grund hält man dem Betrachter das Kreuz verborgen, um ihn an das freiwillig auf sich genommene Leiden Jesu zu erinnern.

Um die erste Jahrtausendwende herum, entstanden die „Hungertücher“, die anfangs den gesamten Altarraum verdeckten, später beschränkte sich die Verhüllung auf den Hochaltar. Der Mensch sah sich damit von Gott getrennt, und wurde dazu veranlasst, über das Trennende zwischen ihm und Gott nachzudenken, um die entzweienden Hindernisse auszuräumen. Im Laufe der Zeit versah man diese Fasten- oder Hungertücher mit Motiven aus der Leidensgeschichte Jesu, um den Fokus der Betrachtungen deutlicher auf das Erlöserleiden Christi zu richten. Die Bilder waren eine Sprache, die selbst die ungelehrte Bevölkerung verstand und „lesen“ konnte, so dass man die Fastentücher bald auch als „Armen-Bibeln“ bezeichnete. „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein“, hören wir Jesus bei der Versuchung in der Wüste sagen. In den abgebildeten Passionsbildern fanden alle Volksschichten geistliche Nahrung, denn die Kreuze, Bilder und Statuen, die ihnen sonst von Gott erzählten, waren verhüllt, und die Kirchensprache war zudem Latein. Die Fastentücher boten in diese Situation hinein, jene karge geistliche Nahrung, deren das Volk bedurfte, um geistlich nicht zu verhungern – man „nagte“ also während des Gottesdienstes „am Hungertuch“.

Seit dem Jahr 1969 legte das deutsche Messbuch fest: „Der Brauch, die Kreuze und Bilder in den Kirchen zu verhüllen, soll beibehalten werden. In diesem Fall bleiben die Kreuze verhüllt bis zum Ende der Karfreitagsliturgie, die Bilder jedoch bis zum Beginn der Osternachtsfeier.”

Die Kreuzverhüllung ist also eine Aktion, die unsere Gedanken wieder auf das augenblickliche Geschehen lenken will – und das ist in der Fastenzeit das Leiden, die Passion Christi, der am Kreuz Tod und Sünde überwunden hat, um uns das Heil zu schenken. Jedes Mal, wenn wir uns bekreuzigen, zeichnen wir über uns das Siegeszeichen, durch das wir erlöst wurden.

Die Fastentücher, in ihrer von Gott trennenden Weise, sind aber grundsätzlich keine Erfindung des Christentums. Bereits durch Mose gab Gott selbst dem Volk des Alten Bundes Anweisungen, wie das Heiligtum angeordnet sein soll. Gott verlangte: „Mach einen Vorhang aus violettem und rotem Purpur, Karmesin und gezwirntem Byssus; wie Kunstweberarbeit soll er gemacht werden, mit Kerubim. Häng ihn an die vier mit Gold überzogenen Akaziensäulen, die auf vier Sockeln aus Silber stehen sollen. Auch die Nägel der Säulen sollen aus Gold sein. Häng den Vorhang an die Haken und bring dorthin, hinter den Vorhang, die Lade der Bundesurkunde! Der Vorhang trenne euch das Heiligtum vom Allerheiligsten.“ (Ex 26,31-33) Auch der Tempel von Jerusalem hatte einen solchen Vorhang. Als Jesus starb, riss der Vorhang im Tempel entzwei, wird uns im Markusevangelium berichtet. (vgl. Mk 15,38) Bei der Kreuzenthüllung in der Karfreitagsliturgie verkündet uns das abgenommene Tuch die frohe Botschaft: „Das Trennende, die Erbschuld, wurde durch Christus gesühnt, es existiert nicht mehr. Tod und Sünde sind besiegt, durch den, der uns Heil gebracht hat. Der Weg zu Gott ist wieder frei!“