Statue der Gottesmutter
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„Die Wurzel trägt dich!“

Das Motto für den “Tag des Judentums“ gibt der Apostel Paulus vor: „Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich“ mahnt er im 11. Kapitel des Römerbriefs. Offensichtlich bestand schon in den ersten christlichen Gemeinden die Tendenz, sich über jene erhaben zu fühlen, die nicht in der Nachfolge des Messias Jesus stehen wollten. Später haben die Kirchen die Worte des Paulus vergessen. Anstatt ihre Wurzel, aus der sie leben und die sie trägt, zu pflegen, meinten sie, ohne sie auskommen zu können. Die theologische Verachtung des Judentums und in Folge die gesellschaftliche Abwertung seiner Gläubigen schuf über Jahrhunderte hinweg jenen Nährboden, auf dem das rassistische Gedankengut des Antisemitismus wachsen konnte.

Erst seit der Schoa (Holocaust) hat in allen Kirchen ein Umdenken begonnen. Seither werden sie sich der Schuld, die sie und ihre Repräsentanten auf sich geladen haben, immer deutlicher bewusst. Sie sind auf dem Weg, den spirituellen und theologischen Reichtum Israels als Fundament des eigenen Glaubens neu zu entdecken. Ein Beitrag dazu soll auch der jährliche „Tag des Judentums“ in den Kirchen sein.

„Die Wurzel trägt dich!“ erinnert Paulus. So gesehen ist der christlich-jüdische Dialog das grundlegende Thema für das Selbstverständnis als Christinnen und Christen, er ist elementar für die Identität der Kirchen. Er ist nicht von außen heran getragen, sondern jede Katechese redet von Juden, jede Predigt interpretiert jüdische Texte. Heute wollen wir in Dankbarkeit das Geschenk feiern, das Gott uns mit Israel, seinem erwählten Volk, gegeben hat. Der Gottesdienstvorschlag für den Tag des Judentums wurde von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des „Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit“ gestaltet und von der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich im Herbst 1999 verabschiedet. Seit seiner ersten Fassung haben wir den Text in Details immer wieder weiter entwickelt und umgearbeitet. Die Lieder und die ausgewählten Lesungen wechselten, die Gebete blieben im Wesentlichen gleich, um eine jährliche Gewohnheit und Tradition wachsen zu lassen.

Der griechisch-orthodoxe Metropolit von Austria, Michael Staikos, schrieb in seiner Funktion als Vorsitzender des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich zur Einführung des „17. Jänner – Tag des Judentums“: „Die Jahrhunderte lange Verfolgung der Juden durch Christen macht es notwendig, dass auf dem Weg der Buße und der Neubesinnung eine Haltung gegenüber den Juden heranreift, die dem Evangelium entspricht. Der Tag des Judentums ist also ein Besinnungstag für Christen.“ Und in der Botschaft zum „Christentag 1999“ formulierten die Kirchen Österreichs: „Wir beten, dass alle Kirchen erkennen, dass der Heilsweg des Ersten Testaments weiterhin gültig ist.“

Es geht am 17. Jänner nicht darum, eine Feier mit folkloristischen jüdischen Elementen zu gestalten, auch nicht um ein Kennenlernen des Judentums. Es ist eine Vereinnahmung, wenn Christinnen und Christen die Distanz der beiden Traditionen aus lauter Begeisterung nicht wahren und jüdische Riten und Symbole kopieren und nachahmen. Der christlich-jüdische Dialog will nicht einfach christliche Gottesdienste ein wenig jüdisch garnieren. Es geht um ein fundamental neues Selbstverständnis der Kirchen, das sich aus seiner jüdischen Quelle nährt und sich in Weggemeinschaft mit den jüdischen Gemeinden heute versteht. Dem entsprechend wollen wir am Tag des Judentums mit den Mitteln unserer eigenen Traditionen ein positives Bekenntnis zur Wurzel unseres Glaubens ablegen.“

Der Artikel wurde entnommen von: http://www.christenundjuden.org/schwerpunkte/tagdesjudentums/141-17-jaenner

Menschen suchen ständig nach ihren Wurzeln – tun wir das auch im Glauben. Vieles in der Bibel lässt sich nur durch das Wissen um die jüdische Tradition, um ihre Bräuche und Denkweisen verstehen. Vergessen wir nicht, dass Jesus zu den Juden gekommen ist und seine Jünger aus dem auserwählten Volk heraus in seine Nachfolge rief. Beten wir um ein versöhntes Miteinander und um das Geschenk, die Heilige Schrift von der Wurzel her, neu oder besser verstehen zu lernen.