Statue der Gottesmutter
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Predigt bei der Abendmesse mit Marienweihe

Prof. Dr. Hansjörg Rigger

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Heute am Vormittag um 11:09 Uhr hat der Heilige Vater, Papst Franziskus, die Heilige Pforte im Petersdom eröffnet. Er tat es mit großem Ernst und durchschritt die Pforte anschließend als Erster. Ihm folgte Papst Benedikt XVI. Es war ein berührendes Bild, ein Bild das etwas ausdrückte von der Barmherzigkeit Gottes, welche wir im kommenden Jahr in den Mittelpunkt nicht nur unseres Bedenkens, Denkens, Überlegens, sondern auch unseres Tuns, stellen sollten. Diese Symbolik, die jetzt in diesem Jahr noch ausgeweitet wird, eine Heilige Pforte nicht nur im Petersdom in den sieben Hauptkirchen Roms, sondern eine, sogar mehrere Heilige Pforten, in allen Diözesen, um deutlich zu machen, die Barmherzigkeit Gottes, lässt sich nicht zentralisieren. Die Barmherzigkeit Gottes ist, um ein modernes Wort zu gebrauchen, dezentral. Die Barmherzigkeit Gottes reicht überall hin. Die reicht, um es mit diesem Papst zu sagen, bis an die Peripherie der Existenz. Und wenn das so ist, dann reicht die Barmherzigkeit Gottes, ja man möchte es nicht meinen, auch bis zu mir. Denn würde sie nicht bis an die Enden der Erde reichen, dann könnte ich einen Zweifel haben. Und es gibt Menschen, die Grund haben, daran zu zweifeln, dass die Barmherzigkeit Gottes sie erreicht. Der Papst hat vor einiger Zeit zu Gefängnisinsassen gesprochen und gesagt: „Wenn ihr jetzt nach Hause geht,  dann betrachtet eure Tür zu eurer Gefängniszelle als Heilige Pforte. Darauf schreibt ein Häftling in Padua, der das gehört hatte: „Als ich an jenem Abend von der Arbeit nach Hause kam“ – in diesem Gefängnis gibt es eine Konditorei und er kam von dieser Arbeit nach Hause – da sagte er, „da blieb mir das Herz einen Moment stehen. Sonst“, sagte er, „bin ich immer ungern zurück, mit großem Widerwillen, aber dann, als mir vor der Tür meiner Zelle die Worte des Papstes einfielen, da musste ich spontan beten. Und ich habe Gott für seine Barmherzigkeit gedankt. Ich habe ihm gedankt, dass er mich trotz meiner Schuld, die ich auf mich geladen habe, trotz der Verletzungen die ich zugefügt habe, dass er mich trotzdem annimmt. Mag ich in diesem Leben keine Chance mehr bekommen, aber bei Gott habe ich sie immer.“

Liebe Brüder und Schwestern, der Auftakt für dieses Heilige Jahr, ist der 08. Dezember, das Hochfest von der ohne Makel der Erbschuld empfangenen Jungfrau. Natürlich gibt es ein Jubiläum: An einem 08. Dezember vor 50 Jahren wurde das II. Vatikanische Konzil feierlich abgeschlossen. Aber es gibt noch einen tieferen Grund. Das ist die unbefleckt Empfangene. Das ist die eigentliche Heilige Pforte. Das ist die Pforte  zum Paradies. Das ist das Tor der Barmherzigkeit.

Liebe Brüder und Schwestern, wenn wir von Barmherzigkeit sprechen, wenn wir das im biblischen Sinne tun, dann muss uns fast zwangsläufig einfallen, was dieses Wort ursprünglich im Hebräischen für eine Bedeutung hat. Um im Hebräischen zu sagen „Mutterschoß“ gebraucht man das Wort „Rachem“. Macht man aus diesem Wort einen Plural, dann sagt man „Rachamim“, aber der Plural kann manchmal auch die Intensivierung einer Bedeutung sein. Also „Rachem“ Mutterschoß, „Rachamim“ nicht einfach nur die „Mutterschoße“, sondern der tiefere Sinn von „Mutterschoß“, der eigentliche Sinn, der übertragene Sinn, der geistliche Sinn. Und so heißt es beispielsweise im Hebräischen, da gibt es den Satz, der oft in den Psalmen vorkommt: „Dem Herrn ist Mutterschoß zu eigen.“ Erst Luther hat uns dann das deutsche Wort geschenkt, das diesen Zusammenhang nicht mehr herstellt. Aber im Hebräischen ist das so gemeint: „Dem Herrn ist Mutterschoß zu eigen“, das heißt, seine Barmherzigkeit, seine Güte, seine Liebe ist wie ein Mutterschoß, wo neues Leben entstehen kann, wo neues Leben heran wächst; wo, sofern die werdende Mutter einigermaßen gesund lebt, keinen Alkohol trinkt, nicht raucht, wo ein Kind, das nach 9 Monaten geboren wird, ein ideales Umfeld vorfindet. Absolut ideal. Wir könnten sagen, Barmherzigkeit Gottes hat etwas damit zu tun, dass wir bei Gott unser ideales Umfeld vorfinden. Nirgendwo finden wir Leben, so wie bei ihm. Nirgendwo sind wir so angenommen, so bejaht, nirgendwo wachsen wir besser, und nicht nur das. Alle Mütter, die Kinder zur Welt gebracht haben, wissen es, das ist auch ein Loslassen. Und dieses Loslassen dauert dann noch Jahre. Zu meiner Zeit war das Loslassen mit 18 Jahren abgeschlossen. Heute haben junge Leute mit 50 manchmal noch nicht losgelassen vom Rockzipfel der Mutter. Der Mutterschoß ist ein Ort, der auch in die Freiheit entlässt, in ein Leben entlässt. Und das steht für Barmherzigkeit.

Gott, der Barmherzige, er wird Mensch, im Mutterschoß einer Jungfrau

Er hat sich Maria erwählt, in seiner Ewigkeit erwählt und sie konnte wie ein Mutterschoß, sagen wir mal sie, als die unbefleckt Empfangene, konnte seinem Sohn die ideale Wohnung bereiten. Und so kam durch dieses Tor, wenn wir es so wollen, die Barmherzigkeit auf die Welt. Die Barmherzigkeit Gottes wurde unter uns sichtbar, greifbar, erfahrbar. Liebe Brüder und Schwestern, was fehlt uns zu diesem Mutterschoß? Was fehlt uns an Reinheit, damit er bei uns ganz ankommen könnte? Was ist das Hindernis? Unbefleckte Empfängnis, Unschuld, Reinheit, dieses Dogma ist nicht nur deswegen so aktuell, weil in unserer Welt die Unschuld regiert oder Reinheit. Dieses Dogma ist so aktuell, weil in unserer Welt Unschuld verlacht wird. Einem Mädchen, einer 16-jährigen, die noch nicht mit einem Mann im Bett war, die wird verlacht. Die wird lächerlich gemacht. Wenn wir von Jungfräulichkeit, von Keuschheit sprechen, dann hat die Welt kein Verständnis dafür. Die Welt hat die Unschuld verloren und wir können uns umsehen wo wir wollen, in der Politik, in der Wirtschaft, indem, was in der Welt insgesamt vorkommt, das Allermeiste durchschauen wir nicht. Aber die Welt hat sich schuldig gemacht. Und da wird uns am heutigen Fest etwas ganz anderes vor Augen gestellt. Es wird uns vor Augen gestellt: Unschuld liegt im Bereich des Möglichen für uns Menschen.

Unschuld ist ein anstrebbares Ziel

Liebe Brüder und Schwestern, was heißt Unschuld? Ich gebe ihnen da nur einen Tipp, denken sie an die letzte Beichte, denken sie daran, was haben sie da dem Herrn vorgebracht? Kleinere und größere, vielleicht sogar schwere Sünden. Dann wissen sie, wie sie die Unschuld verloren haben. Wir verlieren die Unschuld durch Sünde. Aber da ist Maria, die wir betrachten. Ein Mensch wie du und ich. Wenn wir das wie einen Fluss sehen, auf der einen Seite Gott, der Allmächtige, der Dreieinige, und auf der anderen Seite des Flusses die Menschheit, dann steht Maria auf unserer Seite, auch wenn sie in der Zwischenzeit hinüber gewechselt ist, aber sie macht uns deutlich, wozu wir fähig wären. Wozu wir fähig wären, wenn wir uns innerlich so frei machen, dass uns seine Gnade erfüllen kann. Der Engel sagte zu Maria: „Du bist voll der Gnade!“ Du bist voll der Gnade, das heißt nicht nur das Übermaß, sondern das ganze Ausmaß an Gnade, ist in dir.

Liebe Brüder und Schwestern, diese Gnade, dieses Übermaß, dieses ganze Maß an Gnade, was ist dem verheißen? Alles! Leben in Fülle, Vergebung, Versöhnung, Liebe, Hoffnung, und vor allem ewiges Leben. Ich denke mir, wir müssen wirklich dankbar sein, dass wir nach dem Tod noch ein Fegefeuer geschenkt bekommen. Denn da geschieht von Gott her in seiner Barmherzigkeit die letzte Reinigung. Damit wir würdig werden, durch diese Pforte zu schreiten. Und wenn sie erlauben, dann zitiere ich eine Botschaft aus Schio. Da sagt Maria einmal: „Mein Herz ist die Pforte zum Paradies, weil es die Pforte zu meinem Sohn ist und weil der Sohn, der Weg zum Vater ist.“ Bitten wir die Unbefleckt Empfangene Jungfrau, dass sie uns die Sehnsucht ins Herz prägt, durch diese Heilige Pforte zu schreiten. Und ich schlage ihnen vor, wenn der Papst das schon bei den Gefängnisinsassen macht, erklären sie doch die Pforte, die Türe zu ihrem Haus, zu einer Heiligen Pforte in diesem Jahr. Erklären sie doch die Türe zu ihrer Zelle zu einer Heiligen Pforte. Vielleicht haben sie die Gelegenheit nach Rom zu fahren, aber tun sie es auch so. Und sprechen sie jedes Mal ein Gebet, wenn sie das Haus, die Zelle, betreten. Und denken sie an Maria, durch diese Pforte gelangen wir ins Paradies. Amen